Die Installation BYCATCH der in Berlin lebenden Künstler Abie Franklin und Daniel Hölzl untersucht die durchlässigen Grenzen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren*innen. Ineinander-greifende Naturphänomene wie Umweltverschmutzung, die Verschiebung von Landmassen und der Anstieg des Meeresspiegels stehen menschengemachten Strategien der Verteidigung und (Selbst-)Zerstörung gegenüber. Die hybride Landschaft bietet den Teilnehmern eine immersive Erfahrung, während sie darüber nachdenken: Was ist eine weiche, harte oder poröse Grenze? Wie können diese Grenzen überschritten, verlagert oder beseitigt werden? Und welchen Beifang (BYCATCH) sind wir bereit, dabei in Kauf zu nehmen?
Die schwimmende Installation besteht aus aufblasbaren Tetrapoden, die durch ein Sicherheitsnetz verbunden sind. Die aufblasbaren Tetrapoden ahmen die in den 1950er Jahren zum Schutz der Küsten vor Erosion entwickelten Wellenbrecher nach, die in Massenproduktion hergestellt werden. Das Aufstellen dieser Betonkonstruktionen hat jedoch weltweit unzählige Ökosysteme zerstört, darunter auch deutsche Küsten und Feuchtgebiete. In Japan zum Beispiel sind bis zu 50 Prozent der Küstenlinien mit ihnen zugedeckt (Japan Times). Der Begriff Beifang stammt aus dem Bedürfnis der Fischereiindustrie, Dinge zu bezeichnen, die zufällig gefangen wurden – wie Delfine, die sich beim Thunfischfang in Schleppnetzen verfangen. Er verdeutlicht das Dilemma, dass man versucht, eine schnelle Lösung zu finden, nur um dann festzustellen, dass diese zu anderen Problemen führt.
Wellenbrecher waren früher ein Synonym für den Schutz menschlicher Lebensräume. Ein neues Verständnis der aquatischen Umwelt und ihrer Arte vielfalt hat jedoch zu Alternativen geführt. Zum
Beispiel neuartige schwammartige Strukturen, die das Wasser aufsaugen, anstatt es nur zu verdrängen. Eine Möglichkeit, den Beifang von Wellenbrechern zu messen, ist das Wasservolumen, das sie verdrängen und damit das Verschwinden genau der Orte beschleunigen, die sie eigentlich schützen sollen. Dennoch bleiben sie bestehen und bilden unzählige Unterwassergräber mit verlassenen architektonischen Artefakten. Bei BYCATCH bleibt das Volumen der Form gleich, während das Material von verschmutzendem Beton in Luft umgewandelt wird. Die Objekte werden neu belebt, indem ihr Potenzial als Verbindungselemente und nicht als Trennwände erforscht wird. Anstatt Energie zu zerstreuen, erzeugen sie eine neue Form der Widerstandsfähigkeit, indem sie mit ihrer Umgebung interagieren, anstatt sich ihr zu widersetzen.
Diese Manifestation einer objektorientierten Perspektive macht „Hyperobjekte“ sichtbar. Timothy Morton argumentiert, dass eine Verschiebung von Zeit und Raum notwendig ist, damit Prozesse und Phänomene als Objekte wahrgenommen werden können (Morton 2013). Zu den Hyperobjekten, die uns sowohl vertraut als auch fremd sind, gehören Wetter, Strömungen, Licht/Strahlung usw. Das bedeutendste Beispiel unserer Zeit ist die globale Erwärmung. Hyperobjekte haben eine dramatische Qualität: Dort, wo sie auftreten, sind bereits irreversible Veränderungen eingetreten, die unsere Handlungspielraum meistens lediglich auf Bewältigungsstrategien reduziert. Morton zufolge müssen die Menschen ihre Vorstellungen von und ihre Beziehung zu nichtmenschlichen Lebewesen und der Natur als Ganzes radikal überdenken (ebd.). Donna Haraway beschreibt die oft ungewollten Beziehungen zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Lebewesen als Verstrickungen. Nur artenübergreifende Verbindungen können das Leben in einer sterbenden Welt erhalten (Haraway 2016). BYCATCH weist auf die Notwendigkeit eines neuen Konzepts der Natur im Post-Anthropozän hin – einer Welt, nachdem der Mensch zur dominierenden Kraft bei der Gestaltung des Planeten geworden ist. Es negiert die sperrige Unbeweglichkeit mit dem ständigen Wandel und setzt die Tetrapoden als sinnliches Hilfsmittel ein, um Hyperobjekte und verschränkte Verbindungen zu erfahren.
Tetrapode(a) ist ein biologischer Begriff, der Landwirbeltiere mit vier Gliedmaßen beschreibt. Zu diesen Vierbeinern gehören die allerersten Amphibien, Säugetiere und sogar der Mensch. Vor etwa 390 Millionen Jahren krochen die Wirbeltiere aus den Ozeanen, um das Land als Lebensraum zu erobern (Harvard University). Infolge der erschöpfenden Besiedlung und der Erschöpfung der Ressourcen werden die Nachkommen der Tetrapoden vom Festland zurückgedrängt, was unbekannte evolutionäre Prozesse in Gang setzt.
Das Werk ist aus langlebiger, recycelbarer PVC-Folie gefertigt und wird vor Ort von GEO Die Luftwerker hergestellt. Ein Unternehmen, das bereits Projekte für Künstler wie Maurizio Cattelan, Christo und
Jeanne-Claude und Tomás Saraceno realisiert hat. Die Idee der modularen, austauschbaren Layouts wurde von Franklin und Hölzl in enger Zusammenarbeit entwickelt. Beide künstlerischen Praktiken konzentrieren sich auf Materialität, Zeitlichkeit und räumliche Interaktionen.
BYCATCH kann auf dem Wasser, an Land und überall dazwischen installiert werden. Die formalistischen, minimalistischen Tetrapoden geben keine Orientierung vor: kein Oben und Unten, sie offenbaren unzählige Anordnungen und Kompositionen von Raumhöhlen. Ein haptisches grünes Netz spielt mit und um diese Hohlräume. Das Netz stammt aus dem Baugewerbe und dient zum Auffangen von Personen im Falle eines Sturzes. Es dient als proaktive Maßnahme, wenn eine garantierte Sturzvermeidung unvermeidbar ist. Laut Hito Steyerl befindet sich die Gesellschaft in einem Zustand des freien Falls, der sich in einer „a prevailing condition of groundlessness“ manifestiert (Steyerl 2011). Dieser Zustand ist schwer zu fassen, wenn alles fällt. Der Horizont verliert sich in Linien, Grenzen lösen sich auf. „Falling is corruption as well as liberation, a condition that turns people into things and vice versa“ (ebd.).
In BYCATCH bewegen sich Teilnehmer und Dinge zwischen Stabilität und freiem Fall. Das Werk dehnt sich aus und reagiert wie eine zusammenhängende schwimmende Struktur, die sich bis zur Küste erstreckt. Wir sind eingeladen, uns in die Installation einzuschmiegen und sanft die Gezeiten zu beobachten, spielerisch auf die Komponenten zu klettern, unser Gewicht und unseren Einfluss auf sie zu spüren oder sie aus der Ferne zu betrachten. Mit unserer Beteiligung wird die Installation zu einer sich ständig weiterentwickelnden Schnittstelle (nicht) menschlicher Interaktion, die Grenzen neu definiert und unseren Beifang reflektiert, während wir auf instabilen Boden fallen.
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Quellenangabe
• Haraway, Donna Jeanne (2016). Staying with the Trouble, making kin in the Chthulucene. Durham and London: Duke University Press.
• Hesse, Stephen (2007). Tetrapods don’t you just love ‘em. Japan Times. Available at: https://www.japantimes.co.jp/life/2007/07/22/to-be-sorted/tetrapods/. Accessed 8 August 2022.
• Morton, Timothy Bloxam (2013). Hyperobjects: Philosophy and Ecology after the End of the World. USA: University of Minnesota Press.
• Steyerl, Hito (2011). In Free Fall: A Thought Experiment on Vertical Perspective. eflux Journal, issue 24. Available at: https://www.e-flux.com/journal/24/67860/infree-
fall-a-thought-experiment-on-vertical-perspective/. Accessed 8 August 2022.
• Researchers reconstruct changes in forelimb function as vertebrates moved onto land (2021). Harvard University. Available at: https://oeb.harvard.edu/news/
researchers-reconstruct-changes-forelimb-function-vertebrates-movedland. Accessed 8 August 2022.